Der harte Verdrängungswettbewerb trifft auch große Baufirmen

Berliner Zeitung Nummer 157 - BERLIN (08.07.00) - Miriam M. Beul

BERLIN, 7. Juli. Der Verdrängungswettbewerb am Bau hat so stark zugenommen, dass selbst die großen Baukonzerne nicht von Pleiten verschont bleiben. Der Fast-Zusammenbruch der Philipp Holzmann AG oder das Ermittlungsverfahren gegen Roland Ernst stehen an der Spitze einer zermürbenden Geschäftspraxis, die auch tausenden von kleinen und mittelständischen Betrieben schon den Konkurs einbrachte. Die von einer schlechten Konjunktur und rückläufiger Auftragslage gezeichnete Bauwirtschaft versucht sich mit Hilfe von Dumping-Preisen über Wasser zu halten. "Zuerst haben die großen Baufirmen die Möglichkeit entdeckt, durch Personaleinsparung, Rationalisierung und Umverteilung den Preis zu drücken und sich so Aufträge zu sichern", sagt Lutz Uecker, Abteilungsleiter Wirtschaft beim Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB). Die kleineren Unternehmen seien gezwungen gewesen, dieser Geschäftspraxis zu folgen und selbst Preise anzubieten, die nur an der Gewinnschwelle lagen. Um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, übernehmen die Unternehmen defizitäre Aufträge, um einen gewissen Auslastungsgrad sicherzustellen.

Nullsumme als Erfolg

Nun ist aber die lange Kette von Preissenkung, Rationalisierung, Subunternehmertum und Minuskalkulation wieder bei den Großen angelangt. "Es gilt bereits als Erfolg, wenn das finanzielle Ergebnis nach Abschluss einer Baumaßnahme eine schwarze Null für den Unternehmen ist", sagt Anderas J. Roquette, Rechtsanwalt bei der Sozietät CMS Hasche Sigle Eschenlohr Peltzer in Berlin. So hatte beispielsweise ein Subunternehmer, der bei einem Berliner Großbauvorhaben einen Auftrag mit einem Volumen in zweistelliger Millionenhöhe erhielt, tatsächlich Kosten in Höhe der doppelten Auftragssumme gehabt. Damit erwirtschaftete er einen Verlust in Höhe des ursprünglichen Auftragsvolumens. Doch damit nicht genug. Der Auftraggeber machte noch einen Schadenersatz wegen angeblicher Bauzeitverzögerung geltend, der noch höher ausfiel als die ursprüngliche Auftragssumme. Kann der Auftraggeber diesen Anspruch durchsetzen, so fallen für das Bauunternehmen Kosten an, die mehr als doppelt so hoch sind wie die Auftragssumme. Damit steht die betreffende am Rande ihrer Existenz.

"Auch wenn dies wie ein Extremfall aussieht, haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass solche Fälle immer wieder vorkommen", sagt Roquette. Die Unternehmen kalkulieren bei der Angebotsabgabe aber nicht mit nur extrem geringen Gewinnmargen, sondern sie akzeptieren nach Beobachtungen des Anwalts auch einseitige Vertragsbedingungen, die ihnen von der Auftraggeberseite diktiert werden. Das heißt, die Baufirmen übernehmen immer wieder ungewöhnliche Risiken, meistens nach so genannten "Komplettheitsklauseln". So akzeptieren sie extrem kurze oder unrealistische Bauzeiten, bei deren Überschreitung eine Vertragsstrafe droht. "Bei Großbauvorhaben ist es nicht ungewöhnlich, dass Generalunternehmer bei Überschreitung der Termine eine Vertragsstrafe von mehr als 100 000 Mark pro Tag zu zahlen haben", berichtet der Rechtsanwalt.

Auf Grund des Preisdrucks betreiben immer mehr Unternehmen so genanntes Outsourcing und vergeben ihre Leistungen an Subunternehmer, die sie zu einem noch niedrigeren Preis ausführen. So entstehen ganze Subunternehmer-Ketten. Um die immer komplizierteren Auftraggeber- und Auftragnehmer-Strukturen im Extremfall zu entschlüsseln, ist ein Heer von spezialisierten Anwälten auf den Baustellen unterwegs. Schon vor Beginn der Bauphase müssen sich die Unternehmer mit Rechtsexperten, Managementberatern und Betriebswirten ausrüsten, um nicht in Existenznöte zu geraten.

Groß und Klein sind davon gleichermaßen betroffen. Nach Beobachtung von ZDB-Experte Uecker sind auch die Bauriesen bei Minusbeträgen angelangt, bestenfalls gelten 0,2 bis 0,5 Prozent Gewinn als absolut zufrieden stellend. Gewinne, sagt Roquette, werden aber auch künftig nicht durch Klagen erhöht. "Die Unternehmen werden nicht umhin kommen, die Zahl der eigenen gewerblichen Arbeitnehmer radikal zu reduzieren. Geld wird nicht mehr mit der Bauleistung selbst, sondern mit dem Management der Bauleistung verdient."

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